Wenn es um „Customer Delight“ geht – also die bewusste Begeisterung von Kunden – gehen die Meinungen schnell auseinander. Seit dem bekannten Artikel „Stop Trying to Delight Your Customers“ (der übrigens den Customer Effort Score populär gemacht hat), hat der Begriff manchmal einen eher zweifelhaften Ruf. Die Autoren stellten damals die provokante These auf: „…delighting customers doesn’t build loyalty; reducing their effort – the work they must do to get their problem solved – does“ (Dixon et al., 2010, S. 118).
Und ja – da ist etwas dran. Wenn grundlegende Prozesse nicht funktionieren oder ein Unternehmen es nicht schafft, die Erwartungen seiner Kunden zu erfüllen, dann sollte dort definitiv zuerst angesetzt werden. Aber: Das heißt nicht, dass „Delight“ irrelevant ist. Im Gegenteil – eine wachsende Zahl an Studien zeigt, wie wichtig positive Emotionen für Kundenerlebnisse sind.
Doch was genau ist eigentlich „Delight“? Geht es dabei nur um besonders hohe Zufriedenheit – oder steckt mehr dahinter? Und was genau löst dieses Gefühl aus?
Ein Forschungsteam aus den USA rund um Parasuraman und Kollegen (vollständige Quelle siehe unten) ist diesen Fragen nachgegangen. In drei qualitativen Studien mit knapp 250 Teilnehmern haben sie sich auf die Suche nach den Eigenschaften von „Delight“ gemacht. In der ersten Studie führten die Teilnehmenden Tagebuch über Konsumerlebnisse, die sie begeistert haben – ergänzt durch Fotos, Videos und Tonaufnahmen. Diese wurden anschließend in Tiefeninterviews genauer diskutiert. Die dritte Studie nutzte Fokusgruppen, um die Erkenntnisse weiter zu vertiefen.
Das Ergebnis: Es gibt sechs zentrale Merkmale, die „Customer Delight“ ausmachen – drei davon stechen besonders hervor:
- Delight entsteht durch positive Emotionen. Keine große Überraschung – Emotionen stehen im Zentrum begeisternder Erlebnisse. Aber: Die Bandbreite der beschriebenen Gefühle war deutlich größer als erwartet. Neben Freude und Glück nannten die Teilnehmern auch das Gefühl, wertgeschätzt zu werden, Stolz, Erleichterung oder sogar innere Ruhe. Besonders spannend: Auch die eigene Stimmung beim Betreten der Servicesituation spielte eine Rolle. Wer gut gelaunt war, zeigte sich offener, geduldiger und empfänglicher für positive Erlebnisse. Das zeigt: Begeisterung entsteht nicht nur durch das, was ein Unternehmen tut, sondern auch durch den emotionalen Kontext, den die Kunden selbst mitbringen.
- Delight hat eine soziale Dimension. Und diese geht weit über die klassische Interaktion zwischen Kunden und Mitarbeitenden hinaus. Auch wie Mitarbeitende untereinander umgehen – oder wie sich andere Kunden verhalten – kann einen Einfluss auf das Erleben haben. Negative Vibes, etwa durch Spannungen oder mangelnden Respekt im Team, können die Atmosphäre schnell kippen lassen. Umgekehrt können warme, authentische soziale Momente eine Situation enorm aufwerten. Das zeigt: Menschliche Verbindung und ein stimmiges Miteinander wiegen manchmal mehr als der perfekte Cappuccino oder das schönste Store-Design.
- Delight entsteht dann, wenn Probleme für Kunden gelöst werden. Besonders dann, wenn ein Unternehmen nicht nur ein konkretes Problem löst, sondern sichtbar bemüht ist zu helfen. Entscheidend ist dabei nicht nur das Ergebnis, sondern auch die Wahrnehmung der Anstrengung. Viele Kunden fühlten sich gerade dann positiv berührt, wenn sie merkten: „Da versucht wirklich jemand, mir zu helfen.“ Gerade unter Zeitdruck oder schwierigen Rahmenbedingungen kann ein ehrliches Bemühen oft mehr Eindruck hinterlassen als eine emotionslose Standardlösung. Es geht also um Empathie, echtes Engagement – und darum, dem Gegenüber das Gefühl zu geben, gesehen zu werden.
Die weiteren drei Merkmale ergänzen das Bild:
- Sinneseindrücke – Musik, Düfte, Texturen oder Geschmack können positive Erinnerungen und Gefühle wecken.
- Zeit – ist ein Faktor, aber nicht im Sinne von „je schneller, desto besser“. Je nach Situation kann sowohl ein zügiger als auch ein langsamer Service als angenehm und „delightful“ empfunden werden.
- Kontrolle – Kunden fühlen sich wohler, wenn sie Wahlmöglichkeiten oder Einfluss auf den Ablauf haben. Das Gegenteil? Sprachcomputer, die einen in ein vorgegebenes Menü zwingen – Frust garantiert.
Die Forschenden stellten übrigens fest: Die drei wichtigsten Dimensionen – positive Emotionen, soziale Verbindung und Problemlösung – treten häufig gemeinsam auf und verstärken sich gegenseitig.
Was bedeutet das nun für die Arbeit im Customer Experience (CX) Bereich?
Hier meine persönliche Einordnung:
- Delight ist mehr als hohe Zufriedenheit. Es geht darum, emotionale, zwischenmenschliche und lösungsorientierte Werte zu schaffen – und zwar gleichzeitig. Um das zu erreichen, müssen wir verstehen, was Kunden wirklich erreichen wollen – also ihren „Job to be done“. Leider überspringen wir in der Praxis oft diesen ersten Schritt und stürzen uns direkt auf das Journey Mapping. Das ursprüngliche Jobs-to-be-Done-Konzept umfasst übrigens genau die drei oben genannten Dimensionen: funktional, emotional und sozial. (Dazu bald mehr in meinem nächsten Blog!)
- Die soziale Dimension wird unterschätzt. Wir achten im CX quasi „standardmäßig“ auf die Interaktion zwischen Kunden und Mitarbeitenden – aber wie oft schauen wir auf die Dynamik im Team oder die Interaktion unter den Kunden selbst? Menschen sind soziale Wesen. Eine Zugverspätung kann plötzlich doch noch unterhaltsam werden, wenn sich Mitreisende gut verstehen. Am Gate mit grummeligen Geschäftsreisenden? Eher nicht. Unternehmen können solche Situationen nicht komplett kontrollieren, aber sie können die Stimmung beeinflussen – durch kleine Gesten (Wasser oder Süßigkeiten bei schlimmen Verspätungen verteilen, gute und authentische Kommunikation), vor allem aber durch die Anerkennung, dass geteilte Erfahrungen eine wichtige Rolle spielen.
- Die große Frage, die natürlich im Raum steht: Kann KI begeistern? Überraschenderweise: ja. Erste Studien zeigen, dass selbst Chatbots positive Emotionen erzeugen können – vor allem, wenn sie mit menschlichen Zügen gestaltet sind. Virtuelle Assistenten können Vertrauen schaffen und den Kunden das Gefühl von Kontrolle geben. Anders als starre Telefonsysteme ermöglichen KI-Lösungen oft natürlichere Gespräche. Wenn KI künftig noch besser darin wird, Probleme zu lösen und emotionale Signale zu erkennen – zum Beispiel, ob jemand schnell oder lieber in Ruhe eine Antwort möchte – oder sogar die aktuelle Stimmung der Kunden zu erfassen und entsprechend zu reagieren, dann hat KI echtes „Delight“-Potenzial.
Und jetzt interessiert mich eure Meinung:
Hast du schon einmal ein Erlebnis gehabt, das dich wirklich begeistert hat – oder eines, bei dem ein Unternehmen komplett danebenlag? Ich freue mich über Erfahrungen, Ideen oder Rückfragen in den Kommentaren.
Quellen:
Dixon, M., Freeman, K., & N. Toman (2010). Stop trying to delight your customers. To really win their loyalty, forget the bells and whistles and just solve their problems. Harvard Business Review, July-August, 116–122.
Parasuraman, A., Ball, J., Aksoy, L., Keiningham, T. L., & M. Zaki (2020). More than a feeling? Toward a theory of customer delight. Journal of Service Management, 32(1), 1–26. https://doi.org/10.1108/JOSM-03-2019-0094