Lange Zeit galt eine nahtlose, mühelose Interaktion als das Nonplusultra in der Customer Experience (CX). Unternehmen investierten massiv darin, Prozesse und Abläufe so einfach und reibungslos wie möglich zu gestalten. Doch was, wenn eine gewisse Anstrengung das Kundenerlebnis sogar bereichert?
Das Forscherteam Padigar, Li und Manjunath hinterfragen die Idee einer „effortless experience“ in einer aktuellen Veröffentlichung im Journal Psychology and Marketing (2025, siehe unten): „While it [a frictionless customer experience] can be beneficial, it is also, by definition, unmemorable… Too little friction may lead consumers to think less about their decision and be more ambivalent about the purchase and the brand, leading to lowered brand connection and loyalty“ (Padigar et al., 2025, S. 22).
In der CX-Gestaltung geht es darum, Erlebnisse zu schaffen, die Kunden im Gedächtnis bleiben und die Bindung an die Marke fördern. Doch hier zeigt sich ein Paradoxon: Je einfacher und reibungsloser ein Erlebnis ist, desto weniger bleibt es in Erinnerung.
Allerdings ist das Thema komplexer. Aus der Psychologie weiß man: Zu viel Anstrengung („Effort“) kann Kunden überfordern und zu Frustration sowie Abbrüchen führen (Cognitive Load Theory). Ebenso zeigt der Choice Overload Effect, dass eine zu große Auswahl zu Unentschlossenheit und Unzufriedenheit führen kann. Aber die Wissenschaft hat auch positive Effekte identifiziert: Wenn das Erreichen eines Zieles mit Anstrengung verbunden ist, kann das Zufriedenheit und Commitment erhöhen, die Kunden fühlen sich stärker mit dem Prozess verbunden. Die als „Ikea Effekt“ bekannt gewordene Effort Justification Theory zeigt, dass Menschen Dingen, für die sie sich angestrengt haben, einen höheren Wert beimessen: Wer ein Regal selbst aufgebaut hat, schätzt es mehr, als wenn es fix und fertig geliefert worden wäre.
Basierend auf diesen Erkenntnissen entwickeln Padigar et al. ein Modell, das den Customer Effort im Kundenprozess in zwei Dimensionen (nach Nutzen und Wert) unterscheidet:
- Frustrierende Anstrengung: Unnötiger Aufwand ohne erkennbaren Nutzen, wie komplizierte Navigation auf Websites oder langwierige Checkout-Prozesse.
- Konstruktive Anstrengung: Unangenehm, aber notwendig, um das Ziel zu erreichen – etwa Sicherheitskontrollen am Flughafen. Diese werden zwar selten geschätzt, aber als wichtiger Bestandteil (z.B. für das eigene Sicherheitsgefühl beim Fliegen) akzeptiert.
- Präferenzbasierte Anstrengung: Hohe Attraktivität, aber niedriger funktionaler Nutzen, z. B. das Stöbern in Geschäften oder das Teilen von Erfahrungen auf Social Media. Solche Aktivitäten sind nicht zwingend erforderlich, können aber bereichernd sein.
- Belohnende Anstrengung: Der erforderliche Aufwand ist zentral für das Erlebnis selbst. Beispiele sind der bereits erwähnte IKEA-Effekt oder Luxusmarken wie Hermès und deren berühmte Birkin Handtasche: Kunden können das Produkt nicht einfach im nächsten Laden kaufen, sondern durchlaufen einen bewussten Prozess aus Beziehungsaufbau zum Verkaufspersonal, Loyalitätsnachweisen und Wartezeiten. Dieser Aufwand macht den Kauf besonders exklusiv und begehrenswert.
Beim Lesen der Studie musste ich an die Diskussion rund um generative KI im Content-Bereich denken. KI kann makellose Texte erstellen, doch viele Leser empfinden solche Inhalte als austauschbar und wenig einprägsam. Der Prozess ist effizient, das Ergebnis aber irgendwie glatt und manchmal langweilig. Vielleicht sind es die kleinen Unvollkommenheiten, individuellen Perspektiven und menschlichen Nuancen, die Inhalte wirklich in unseren Gedanken verankern?
Und nein: das soll nicht heißen, dass schlechter Service oder unnötige Hürden wünschenswert sind. Doch strategisch eingesetzte Anstrengung – bewusst gestaltete Momente von Herausforderung und Auflösung – können bedeutungsvollere Kundenerlebnisse schaffen als die reine Jagd nach Mühelosigkeit.
Handlungsempfehlungen für CX-Experten
- Customer Journey: Analysiert eure Customer Journeys: an welchen Stellen müssen Kunden Anstrengung aufbringen und in welche Kategorie des Modelles fallen diese?
- Unnötige Hürden abbauen, sinnvolle verstärken: Frustrierende Erlebnisse am Touchpoint so weit wie möglich abbauen, Potenzial für konstruktive und wertstiftende Anstrengung identifizieren.
- Technologie gezielt nutzen: Automatisierung, KI und Personalisierung können helfen, Aufwand dort zu reduzieren, wo es nötig ist – aber auch im Blick haben, wo menschlicher Kontakt in Interaktionen wertsteigernd sein könnte.
- Testen und anpassen: Kundenfeedback nutzen, um die Balance zwischen Aufwand und Erlebnis kontinuierlich zu verbessern.
Wir streben verständlicherweise stark nach Automatisierung und Effizienz. Dabei sollten wir uns aber auch fragen: Designen wir dabei unbeabsichtigt das Menschliche aus unseren Kundenerlebnissen heraus?
Was denkt ihr? Habt ihr schon einmal eine Situation erlebt, in der ein gewisses Maß an Anstrengung das Kundenerlebnis bereichert hat?
Reference: Padigar, M., Li, Y., & Manjunath, C. N. (2025). “Good” and “bad” frictions in customer experience: Conceptual foundations and implications. Psychology & Marketing, 42(1), 21–43. https://doi.org/10.1002/mar.22111
