Agentic AI verspricht autonome, intelligente Systeme, die komplexe Kundenserviceprozesse eigenständig bewältigen. Doch zwischen Vision und Realität liegen erhebliche Hürden, die Unternehmen kennen und meistern müssen. Diese fünf Herausforderungen entscheiden über Erfolg oder Scheitern der Implementation.
Fragmentierte Systemlandschaft und fehlende Prozessstandardisierung
Agentische KI kann nur dann ihr volles Potenzial entfalten, wenn sie eigenständig Aktionen in verschiedenen Systemen ausführen kann. Sie muss auf Ticketing-Systeme zugreifen, CRM-Daten abrufen, Wissensdatenbanken durchsuchen und mit ERP-Systemen kommunizieren können. Die Realität in den meisten Serviceorganisationen sieht jedoch anders aus: heterogene Tool-Landschaften, manuelle Workarounds und unklare Prozessverläufe dominieren den Alltag.
Diese fragmentierte Systemlandschaft führt zu einem fundamentalen Problem. Die KI kann keine stabilen Handlungsketten bilden, weil Schnittstellen fehlen oder nicht dokumentiert sind. Automationen brechen mitten im Prozess ab, weil ein System nicht antwortet oder Daten in einem unerwarteten Format liefert. Der Output wird unzuverlässig, und das Vertrauen in die Technologie schwindet schnell.
Besonders kritisch wird es, wenn Prozesse nicht standardisiert sind. Wenn jedes Team seinen eigenen Workflow hat, kann die KI keine einheitliche Logik entwickeln. Sie muss für jeden Sonderfall programmiert werden, was die Komplexität exponentiell steigert und die Skalierung praktisch unmöglich macht. Unternehmen müssen deshalb vor der KI-Einführung ihre Hausaufgaben machen: Prozesse dokumentieren, standardisieren und Systeme integrieren. Ohne diese Grundlage wird jede Agentic AI-Initiative scheitern.
Trust, Governance und Risikokontrolle
Die Autonomie von Agentic AI bringt neue Risiken mit sich, die viele Unternehmen unterschätzen. Wenn Agenten eigenständig Entscheidungen treffen und Aktionen ausführen, entstehen kritische Risikoszenarien. Falsche oder unautorisierte Aktionen wie die Vergabe ungerechtfertigter Gutschriften oder unbegründete Eskalationen können erhebliche finanzielle Schäden verursachen. Datenschutzprobleme entstehen, wenn die KI auf sensible Kundendaten zugreift oder diese unbeabsichtigt weitergibt.
Besonders problematisch ist die fehlende Transparenz bei Multi-Step-Reasoning. Wenn ein Agent eine komplexe Entscheidung über mehrere Schritte hinweg trifft, ist oft nicht nachvollziehbar, wie er zu seinem Ergebnis gekommen ist. Diese Black-Box-Problematik macht es schwer, Fehler zu analysieren und zukünftig zu vermeiden. Hinzu kommen ungeklärte Haftungsfragen: Wer trägt die Verantwortung, wenn ein autonomer Agent eine Fehlentscheidung trifft, die dem Unternehmen oder dem Kunden schadet?
Die zentrale Herausforderung besteht darin, Governance-Frameworks zu schaffen, die Kontrollierbarkeit, Auditability und Fail-Safes sicherstellen. Jede Aktion des Agenten muss dokumentiert und nachvollziehbar sein. Es braucht klare Eskalationsmechanismen, wenn der Agent an seine Grenzen stößt. Kritische Entscheidungen müssen menschliche Freigaben erfordern. Und es muss definiert sein, wer bei Fehlern haftet und wie Schäden kompensiert werden. Ohne robuste Governance wird die rechtliche und finanzielle Exposition zum Deal-Breaker.
Unzureichende Datenqualität und fehlendes kontextuelles Wissen
Agentische KI ist nur so gut wie die Daten und das Wissen, auf die sie zugreifen kann. Sie benötigt klare Policies, die definieren, wie in verschiedenen Situationen zu handeln ist. Sie braucht konsistente Wissensdatenbanken, die aktuelle und korrekte Informationen enthalten. Strukturierte Kundendaten sind essentiell, um personalisierte Entscheidungen zu treffen. Und saubere Interaktionshistorien helfen dabei, den Kontext früherer Kontakte zu verstehen.
Die Realität sieht jedoch oft ernüchternd aus. Viele Unternehmen haben Wissenslücken in ihren Datenbanken, weil Informationen nicht systematisch erfasst oder aktualisiert werden. Redundante Daten existieren in verschiedenen Systemen, oft mit widersprüchlichen Inhalten. Veraltete Prozessbeschreibungen führen dazu, dass die KI nach Regeln handelt, die längst überholt sind. Inkonsistente Datenformate machen die automatische Verarbeitung schwierig oder unmöglich.
Das Ergebnis ist verheerend: Agenten liefern falsche Antworten, weil sie auf veraltete Informationen zugreifen. Sie agieren unpassend, weil ihnen wichtiger Kontext fehlt. Sie treffen suboptimale Entscheidungen, weil ihre Wissensbasis lückenhaft ist. Die Datenqualität ist keine technische Nebensache, sondern die Grundlage für funktionierende Agentic AI. Unternehmen müssen massiv in Data Governance, Knowledge Management und Datenbereinigung investieren, bevor sie autonome Agenten einsetzen.
Mitarbeitendenakzeptanz und Rollenverschiebung
Agentic AI verändert die Arbeit im Customer Service fundamental. Klassische Anfragenbearbeitung wird zunehmend von KI übernommen. Mitarbeitende werden zu Supervisoren, die die Arbeit der Agenten überwachen. Sie werden zu Exception Handlers, die eingreifen, wenn die KI nicht weiterkommt. Und sie werden zu Case Ownern für komplexe Fälle, die menschliche Expertise erfordern.
Diese Rollenverschiebung erfordert völlig neue Skills. Statt Tickets abzuarbeiten, müssen Mitarbeitende KI-Systeme managen können. Sie brauchen Verständnis für Prozessdesign, um die Agenten optimal zu konfigurieren. Qualitätssicherung wird zur Kernkompetenz, weil jemand die Arbeit der KI bewerten und verbessern muss. Diese Transformation kann nicht über Nacht geschehen.
Die Herausforderung liegt im Change Management. Ohne professionelle Begleitung entstehen Angst vor Jobverlust, Widerstände gegen neue Arbeitsweisen und Produktivitätsverluste während der Umstellung. Mitarbeitende müssen verstehen, warum die Veränderung notwendig ist und welche Perspektiven sich für sie eröffnen. Sie brauchen Zeit und Unterstützung beim Upskilling. Und sie müssen in die Gestaltung der neuen Prozesse einbezogen werden, statt nur ausführende Organe zu sein.
Erfolgreiche Organisationen setzen auf Co-Creation, bei der Mitarbeitende aktiv an der Entwicklung der Agentic AI-Lösungen beteiligt sind. Sie investieren in umfassende Schulungsprogramme und schaffen klare Karrierepfade für die neuen Rollen. Sie kommunizieren transparent über Veränderungen und nehmen Ängste ernst. Ohne diese menschenzentrierte Herangehensweise wird selbst die beste Technologie scheitern.
Realistische Identifikation von Agent-Use-Cases
Agentische KI wird oft überschätzt, und viele Unternehmen starten mit zu komplexen Szenarien. Sie wollen sofort die schwierigsten Probleme lösen und unterschätzen die notwendige Entwicklungsarbeit. Typische Probleme entstehen durch unklare Serviceziele. Wenn nicht definiert ist, was genau verbessert werden soll, kann auch die beste KI nicht helfen.
Fehlender ROI-Nachweis führt dazu, dass Projekte gestartet werden, ohne zu wissen, ob sie sich rechnen. Automatisierung ungeeigneter Use-Cases verschwendet Ressourcen. Edge Cases, die selten auftreten und hochkomplex sind, eignen sich nicht für die erste Implementation. Rechtlich sensible Fälle sollten vorerst menschlicher Expertise vorbehalten bleiben. Und fehlende Priorisierung führt dazu, dass Energie in alle Richtungen verstreut wird, statt sich auf die vielversprechendsten Anwendungsfälle zu konzentrieren.
Der Erfolgsfaktor ist ein klarer Use-Case-Funnel, der zwischen Quick Wins und Strategic Wins unterscheidet. Quick Wins sind einfache, hochvolumige und standardisierte Prozesse, bei denen schnell Erfolge sichtbar werden. Ein Agent, der einfache Adressänderungen durchführt, ist ein solcher Quick Win. Diese frühen Erfolge schaffen Vertrauen und Momentum.
Strategic Wins sind komplexere Anwendungsfälle, die größeren Nutzen versprechen, aber auch mehr Entwicklungsaufwand erfordern. Sie sollten erst angegangen werden, wenn die Organisation Erfahrung mit Agentic AI gesammelt hat. Eine strukturierte Use-Case-Bewertung nach Kriterien wie Volumen, Standardisierungsgrad, Datenverfügbarkeit, Risiko und erwarteter Impact hilft dabei, die richtige Reihenfolge zu finden.
Der Weg zum Erfolg
Diese fünf Herausforderungen mögen einschüchternd wirken, aber sie sind nicht unüberwindbar. Erfolgreiche Unternehmen gehen strukturiert vor. Sie beginnen mit der Optimierung ihrer Integrations- und Prozesslandschaft, schaffen robuste Governance-Strukturen, investieren in Daten- und Wissensqualität, nehmen ihre Mitarbeitenden mit und wählen ihre Use-Cases mit Bedacht.
Die wichtigste Erkenntnis: Agentic AI ist kein technologisches Projekt, sondern eine organisatorische Transformation. Wer nur auf die Technologie schaut, wird scheitern. Wer die Menschen, Prozesse und Daten in den Mittelpunkt stellt, hat gute Chancen auf Erfolg. Die fünf Herausforderungen sind der Realitätscheck, den jedes Unternehmen durchlaufen muss, bevor es in Agentic AI investiert.
